Voß Aktuell

Auschwitz Studienfahrt – ein Erfahrungsbericht


„Darüber zu sprechen ist unmöglich, darüber zu schweigen, verboten.“ –
Elie Wiesel, Überlebender des Holocaust


Es gibt Menschen, die mit Blick auf den Holocaust sagen, man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Sie beklagen sich, es sei „unanständig“, den heutigen deutschen Generationen ständig die Schuld für die Machenschaften der Nationalsozialisten zu geben: „Durch den Dauereinsatz der Auschwitz-Keule kamen die Deutschen in eine Schuldknechtschaft, die es in- und ausländischen Kreisen bis heute ermöglicht, die Deutschen moralisch zu demütigen, wirtschaftlich auszunehmen und politisch zu bevormunden.“ So formuliert es stellvertretend Jürgen Werner Gansel, ein deutscher Politiker der rechtsextremen Partei Die Heimat.
Warum erweist sich diese Position meines Erachtens als falsch und gefährlich?
Es geht nicht darum, den deutschen Generationen heute die Schuld für den damaligen Holocaust zu geben. Man gibt uns vielmehr die Verantwortung, dass so etwas nicht wieder geschieht. So sagte es auch Max Mannheimer, ein deutsch-jüdischer Überlebender. Die irreführende Verwechslung von Schuld und Verantwortung, wenn wir heute über den Nationalsozialismus sprechen, ist ein Beispiel dafür, dass die Aufklärungsarbeit immer noch wichtig ist, ja sogar immer bedeutender wird.
Daher engagierte sich die Johann-Heinrich-Voß-Schule auch dieses Jahr dafür, eine Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz für 20 Schülerinnen und Schüler aus den Klassenstufen 9 bis 12 zu organisieren. Im Hintergrund stand der Wunsch, ihr Geschichtsbewusstsein zu stärken und sie auf dieser Grundlage zur Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse zu ermutigen.
Vor der Fahrt haben sich die Jugendlichen mit Hilfe der Geschichtslehrkräfte Frau Fack, Frau Meyer und Herrn Dr. Wiechmann inhaltlich und gedanklich auf das Thema und die Studienfahrt vorbereitet. Infolgedessen wurden Impulsreferate rund um das Konzentrationslager Auschwitz sowie Biographien von KZ-Häftlingen und Auschwitzüberlebenden vorgetragen. Nicht zuletzt wurden auch Bedenken und Sorgen seitens der Schüler sowie der Lehrer aufgearbeitet und besprochen.
Am Freitag, den 24. Mai, fuhren wir abends in Eutin los, so dass wir am nächsten Tag um 11:00 Uhr in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte (IJBS) in Oświęcim (deutsch: Auschwitz) ankamen. Zum Glück hatten wir noch die Möglichkeit, unsere Zimmer zu beziehen und gegebenenfalls unter die Dusche zu gehen, denn um 14:00 Uhr ging es dann direkt mit der ersten Exkursion ins Konzentrationslager Auschwitz I weiter (Stammlager).
Begleitet von einer Museumspädagogin, haben wir die einzelnen Häftlingsblöcke des Lagers besichtigt. Es war schon ein komisches Gefühl, durch das Tor mit der Aufschrift „ARBEIT MACHT FREI“ zu gehen, welches eine grausame Ironie widerspiegelt, da Millionen der zu unmenschlicher Arbeit gezwungenen Gefangenen nicht lebend herauskamen. Das umgekehrte B in der Naziparole war wohl ein bewusster Widerstandsakt der Häftlinge, die das Tor schmieden mussten – beeindruckend. Auch der Anblick der erhalten gebliebenen Baracken und des Krematoriums ließ uns innehalten. Erschreckend waren dabei aber nicht nur die Vitrinen, gefüllt mit Haaren und Kleidung der KZ-Häftlinge, welche einerseits die individuellen Geschichten vermitteln, aber auch das enorme Ausmaß des menschlichen Verlustes darstellen.
Auch das Fehlverhalten vieler anderer Besucher war irritierend. Familien, sogar mit Kleinkindern, machten fröhliche Selfies vor den Häftlingsblöcken oder dem Eingangstor.
Es erschien uns unpassend und realitätsfremd, dass viele Besucherinnen und Besucher die Gedenkstätte mit so einem Verhalten romantisieren.
Der Block 11 ist ein Bereich, der nach der Besichtigung nachbereitend und reflektiert besprochen wurde. Der so genannte „Todesblock“ mit Kellerzellen und der Hinrichtungswand veranschaulicht vor allem die brutalen Kontroll- und Bestrafungsmethoden im KZ Auschwitz.
Auch zu Block 10 haben wir auf unserer Besichtigung einiges erfahren. Auschwitz war eben nicht nur eine Todesfabrik, so wie viele sie kennen, sondern auch ein Ort für inhumane „medizinische“ Forschungen. Viele Zwangssterilisationen, Infektionsstudien und andere menschenverachtende Prozeduren wurden dort durchgeführt und hatten oftmals schwere Leiden bzw. den Tod der Betroffenen zur Folge.
In der abendlichen Reflexionsrunde wurde häufig erwähnt, dass auch die Ausstellungen und Geschichten zu den ermordeten und misshandelten Kindern und Müttern eine starke emotionale Betroffenheit hinterlassen haben. Allein der Fakt, dass die Nationalsozialisten vor den Kindern nicht zurückgeschreckt haben, verdeutlicht ihre Inhumanität.
Am nächsten Tag stand dann der Besuch des Vernichtungslagers Birkenau auf dem Plan. Wie im Stammlager hieß das Prinzip hier zum einen „Vernichtung durch Arbeit“. Zum anderen wurden Juden, „Sinti und Roma“ oder politische Gegner in Birkenau massenhaft und systematisch ermordet. Dabei fanden nach Ankunft der Deportationszüge zunächst Selektionen in arbeitsfähige und arbeitsunfähige Menschen statt – für viele wurde hier bereits das Todesurteil gefällt. Dieses perfide und unmenschliche Vorgehen ließ uns vor Ort an den berühmten Bahngleisen erschaudern. Auschwitz war deshalb als Ort für das Lager ausgewählt worden, da es im 19. Jahrhundert zu Österreich-Ungarn gehört und in dieser Zeit Anschluss an die Bahnlinie Wien – Krakau erhalten hatte. Dieser Bahnanschluss vereinfachte die rasche Deportation von Jüdinnen und Juden aus vielen Gebieten Europas nach Auschwitz.
Dass Auschwitz-Birkenau heute als Zivilisationsbruch verstanden wird, wurde unter anderem insofern erfahrbar, dass die vielen Lagerinsassen selbst auf dem riesigen Gebiet auf engem Raum zusammenleben mussten. Wir haben viele Häftlingsbaracken gesehen, die die unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Gefangenen leben mussten, auf sehr intensive Art und Weise zum Ausdruck brachten. Enge, Kälte, Feuchtigkeit und mangelnde sanitäre Einrichtungen prägten damals den Alltag der Inhaftierten und führten schnell zu Krankheit und Tod.
Der erste Eindruck, den wahrscheinlich jeder von uns beim Betreten des Gebiets hatte, war, dass die Gaskammern und Krematorien nur noch als Ruinen dastanden. Dieser Anblick erzählt die Geschichte, dass diese Anlagen von den Nazis vor deren Flucht gesprengt wurden, als die Rote Armee kam, um das Vernichtungslager zu befreien. Trotzdem war die Besichtigung der Ruinen beklemmend und emotional.
Während das Fehlverhalten der Besucherinnen und Besucher von uns schon am Tag zuvor als sehr respektlos wahrgenommen wurde, zeigten sich in den sogenannten Kinderlagern irritierende Spuren von Vandalismus: So fand man unter anderem Instagram-Nutzernamen oder Kritzeleien an den Betten und Wänden dieses Blocks vor. Auch dies ist eine Bestätigung dafür, dass geschichtliche Aufklärung ganz und gar wichtig ist und dieses Thema vor allem ernst behandelt werden muss. Abgesehen davon waren die im Kinderlager selbstgemalten Bilder an den Wänden sehr eindrücklich. Sie sollten wahrscheinlich die Stimmung aufhellen, was wohl nur schwer möglich gewesen sein dürfte.
Obwohl man einiges schon aus dem Unterricht kannte, war das Effektenlager „Kanada“ eine der interessantesten Baracken. Dort wurden die von den Nazis geraubten Wertgegenstände der Häftlinge sortiert und weiterverarbeitet. Der Weg zu den Ruinen von „Kanada“ führte in einen Wald; sie erschienen uns fast schon abgeschottet von dem restlichen Gelände.
Die Geschichten der Frauenlager sind auch sehr bewegend und erstaunlich: An einem Ort, an welchem man denken könnte: „Jeder ist sich selbst der Nächste“ bewiesen viele Geschichten genau das Gegenteil. Zusammenhalt und Zusammenarbeit erlangten dort eine sehr große Bedeutung.
Am Ende durfte unsere Gruppe den großen Wachturm am Eingang betreten. Alles in allem wirkte dieses Lager mit seinen 170 Hektar so groß. Wenn man sich aber die hohen Todeszahlen vor Augen führt, ist es leicht nachzuvollziehen, wie gefüllt und belebt dieser Raum damals gewesen sein dürfte. Mit diesen letzten Eindrücken traten wir die Rückreise in die Jugendbegegnungsstätte an, wo wir uns abends noch länger über unsere Erfahrungen austauschten.
Die nachdenkliche und betrübte Stimmung innerhalb der Gruppe konnte mit dem Ausflug nach Krakau am nächsten Tag ein wenig ausgeglichen werden. Angekommen in der historischen Altstadt führte uns ein Reisebegleiter vom Florianstor über den Marktplatz bis hin zum Wawel, dem berühmten Kalkfelsen im Zentrum Krakaus. Hier wurden nicht nur geschichtliche Ereignisse vorgestellt, sondern auch die Bedeutsamkeit der Stadt damals und heute verglichen. Auch die Mythen und Märchen der Stadt sind vielgestaltig: Vom Feuerspeienden Drachen bis zum Schäferhund Dżok war in der Führung einiges dabei. Der Nachmittag stand dann zur freien Verfügung. Mit weiteren historischen Sehenswürdigkeiten, wie zum Beispiel den Krakauer Tuchhallen, dem Jüdischen Viertel, zahlreichen Cafés oder zahlreichen Shoppingmöglichkeiten, machte Krakau auf uns einen bunten und sehr schönen Eindruck.
Am letzten Tag unserer Fahrt durften wir uns vormittags nach einer Einführung in die Arbeit der IJBS eine neue Ausstellung von Gerhard Richter anschauen. „Birkenau“, ein Zyklus von vier Gemälden, nimmt Bezug auf das gleichnamige Konzentrationslager. Richter hat vom KZ-Häftling Alberto Errera angefertigte Fotografien, die die Verbrennung von Leichen ermordeter Juden in einem Waldstück sowie nackte, auf dem Weg in die Gaskammer befindliche Frauen darstellen, auf vier Leinwände übertragen.
Anschließend stand eine Besichtigung der Innenstadt Oświęcims an. Hier haben wir nicht nur eine Stadttour unternommen und einen Blick in die Vergangenheit geworfen; wir haben uns nämlich vor allem damit beschäftigt, wie diese Stadt heute mit ihrer Geschichte umgeht und wie sie sich seit dem 2. Weltkrieg entwickelt hat. Somit hatten wir die Möglichkeit, unsere Studienfahrt ganzheitlich abzuschließen. Man kann sagen, dass die Innenstadt sehr aufgeblüht wirkt. Mit Marktplätzen, Cafés, Kirchen, Parks und einigen Shoppingmöglichkeiten hat uns Oświęcim nachhaltig beeindruckt. Normalerweise wohnen in dieser Stadt keine Juden. Doch vor einem Jahr ist die erste Jüdin wieder in die Stadt gezogen. Zusammen mit ihrem Ehemann führt sie ein kleines Café in dieser Stadt.
Nachmittags haben wir uns schließlich wieder auf den Weg nach Hause gemacht. Am nächsten Morgen kamen wir bereits um 5:00 Uhr geschafft und ermüdet in Eutin an.
Ich glaube aber, dass ich im Namen aller spreche, wenn ich sage, dass diese Fahrt uns alle in gewisser Weise geprägt hat. Wir werden zwar nie ganz nachvollziehen können, wie es damals wirklich war, zumal wir mit noch mehr Fragen als vorher nach Hause kamen.
Gleichwohl denke ich, dass die Fahrt bei vielen zu einem besseren Verständnis geführt und auch geholfen hat aufzuzeigen, wie wichtig es ist, sich mit diesem Kapitel der Geschichte auseinanderzusetzen. Denn wie Elie Wiesel sagt: „Darüber zu sprechen ist unmöglich, darüber zu schweigen, verboten.“

Am Ende der Fahrt hat Herrn Dr. Wiechmann uns mit folgendem Gedicht nach Hause entlassen:

Freunde, dass der Mandelzweig
Wieder blüht und treibt,
Ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?

Dass das Leben nicht verging,
So viel Blut auch schreit,
Achtet dieses nicht gering,
In der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg,
Eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
Leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig
Wieder blüht und treibt,
Ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?

Ben Chorin hat dieses Gedicht 1942, mitten im 2. Weltkrieg, geschrieben. Nachdem er als Jude in Berlin erheblich bedroht worden war, ist er 1935 nach Jerusalem ins Exil gegangen. Von dort aus musste er miterleben, wie sein Volk von den Nationalsozialisten vertrieben und vernichtet wurde. Er hat mit diesem Gedicht gegen seine eigene Verzweiflung angeschrieben: „Muss man nicht ein bisschen verrückt sein, um die Hoffnung nicht aufzugeben in dieser Welt?“ So formulierte er es selbst.
Dieses Gedicht steht nämlich vor allem für Hoffnung, die der Mandelzweig hier symbolisiert. Außerdem soll der Mandelzweig dafür stehen, dass Gott über seine Welt wacht, auch dann, wenn wir das fast schon gar nicht mehr wahrnehmen können. Ben Chorin war ein tiefgläubiger Jude. Obwohl er Grund genug gehabt hätte, an Gott zu verzweifeln, hat er an Gottes Wort festgehalten. Dass das Leben stärker ist als alle Todesmächte, diese Sehnsucht ist allen Menschen eigen. Dieses Gedicht hat mich lange zum Nachdenken gebracht. Es hat mir aber insbesondere geholfen, mir meine Wehmut etwas zu nehmen. Und ich denke, dass ich Chorins Worte in Zukunft nicht so schnell vergessen werde.
Schließlich geht noch ein ganz großer Dank an den „Verein der Freunde und Förderer“, der diese Reise durch seine finanzielle Unterstützung ermöglicht und begleitet hat. Ein großer Dank geht zugleich an Herrn Dr. Wiechmann und Frau Fack, die unsere Fahrt organisiert und betreut haben.

Ein Artikel geschrieben von Lara-Sophie (10. Jahrgang)

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